Allessandro Medici, CTO Power Blox AG, habe ich an einem Event in Aarau kennengelernt, wo er sein Start-up zusammen mit anderen Start-up-Enthusiasten präsentierte. Damals schien mir die Idee vom Schwarmstrom so brillant und die Tatsache, dass 1 Milliarde Menschen auf unserem Planeten ohne Strom auskommen müssen, so schrecklich, dass ich in einem 30-minütigen Gespräch von ihm wissen wollte, wie er auf die Idee von Power Blox gekommen ist, was ihn antreibt und wie viel Marketingtext in der Mission seines Start-ups drinsteckt.
Herr Medici, wie würden Sie Ihre Laufbahn beschreiben?
Ich habe eine klassische Laufbahn gemacht. Zunächst absolvierte ich eine Elektronikerlehre bei Sandoz (jetzt Novartis). Danach ging ich an eine Fachhochschule in Muttenz und machte einen Abschluss in Elektrotechnik. Im Beruf fing ich als Programmierer an und durfte später als Projektleiter und Consultant Grossfirmen betreuen. Aber nach etwa 20 Jahren in diesem Umfeld wollte ich mich verändern und ging auf eine Weltreise. Das war so ein Wendepunkt.
Und der Tag, wo diese Dieselgeneratoren abgeschaltet wurden, war ein Ereignis, das mich geprägt hat. Das war auch der Startpunkt für einen anderen Weg. In dieser Arbeit gab es Sinnhaftigkeit.
Ich wundere mich, was einen dazu bringt, ein Start-up zu gründen, wenn man bereits die Möglichkeit hat, mit Grossfirmen zusammenzuarbeiten?
Ich habe zu dem Zeitpunkt alles erreicht, was ich wollte, bis das für mich nicht mehr eine sinnvolle Arbeit war. In einem Grosskundenprojekt konnte ich gut verdienen, sah aber nicht die Sinnhaftigkeit. Ich dachte, dass eine neue Herausforderung auf mich früher oder später doch noch zukommt. Und es ist auch passiert. Damals überlegte ich mir, dass ich etwas für erneuerbare Energien machen könnte. Dazwischen absolvierte ich noch ein Nachdiplomstudium im Bereich Energie und Ökonomie. Um mich zu verändern, ging ich auf eine Pilgerreise auf dem Jakobsweg. Kurz danach erhielt ich ein Jobangebot als Volontär in Kenia. So habe ich entdeckt, wie gross der Bedarf, aber auch die Chance der nachhaltigen Energie in Afrika ist. Das war ein Schlüsselpunkt. In Kenia habe ich eine Range von Dieselgeneratoren mit Solar- und Windenergie umgerüstet. Und der Tag, wo diese Dieselgeneratoren abgeschaltet wurden, war ein Ereignis, das mich geprägt hat. Das war auch der Startpunkt für einen anderen Weg. In dieser Arbeit gab es Sinnhaftigkeit.
So hat es mit dem Start-up angefangen?
Genau. In diesem Projekt habe ich die Chance gesehen, aber auch die Hindernisse. Dabei habe ich vor allem westliche Produkte, die aber nicht für diesen Markt geschaffen sind, eingesetzt. Später habe ich gemerkt, dass es einen separaten Forschungsbereich (Frugal Innovation) gibt, wo man Produkte für Schwellenländer mit eigenen Bedürfnissen entwickelt. Ich durfte an einem Forschungsprojekt der Universität St. Gallen teilnehmen, das das Beratungsunternehmen Roland Berger begleitet hat. Auch andere Grossfirmen waren am Forschungsprojekt beteiligt. So ist mir aufgefallen, wie schwierig für diese Firmen die Entwicklung von Produkten, die auf Schwellenländer zugeschnitten sind, ist. Ingenieure von Entwicklungsabteilungen wollten das gar nicht. Sie wollten Hightech-Produkte für westliche Märkte entwickeln, aber keine einfachen Produkte für Schwellenländer. Aber als Start-up hat man diese Chance. Damals war mir das nicht ganz bewusst.
Wer steht hinter Ihrem Start-up?
Es sind immer noch die Gründer. Das ganze Investorenteam ist dasselbe geblieben. Operativ ist aber ausser mir nicht die Originalcrew mit dabei. Ausserdem haben wir noch unser Partnernetzwerk, mit dem wir zusammenarbeiten. Vor allem mit Stäubli, der den Standardstecker für Solarmodule entwickelt hat. Über dieses Netzwerk können wir unsere Produkte auch skalieren.
Das war aber immer noch eine Idee. Wir haben eine Riesen-Show gemacht – ein paar Slides, Grafiken und eine Show.
Sie haben erwähnt, dass Sie Investoren an Bord haben. Wie haben Sie es geschafft?
Angefangen hat es mit einem Power Blox-Konzept im Jahr 2014. Das Konzept habe ich zusammen mit Armand Martin zusammengestellt. Das war aber immer noch eine Idee. Wir haben eine Riesen-Show gemacht – ein paar Slides, Grafiken und eine Show. So haben wir am Axpo Energy Award 2014 teilgenommen und diesen gewonnen. Der Preis war an die Bedingung geknüpft, dass man eine Firma haben muss, die wir aber nicht hatten. Dann mussten wir eine Firma gründen, um an das Preisgeld in Höhe von CHF 50 000 heranzukommen. Das Öffentlichkeitskapital war so gross, dass wir innerhalb von zwei Wochen unsere Investoren im Boot hatten. So konnten wir das Kapital zusammenbringen und mit diesem Kapital die Entwicklung von Power Blox finanzieren.
Wieviel hat die ganze Entwicklung gekostet?
Unser Anfangsbudget betrug mehrere hunderttausend Franken. Alleine die Spritzgussform kostete so viel. Das war auch eine Herausforderung. Über eine Investorenrunde konnten wir aber das Kapital zusammenbringen. Es stellte sich aber heraus, dass das Ganze viel mehr kostet. Aktuell schätzen wir die Investitionen in die Entwicklung des ersten Produktes, den Aufbau der Firma und erste Marketing- und PR-Aktivitäten auf zwischen zwei und drei Millionen Franken.
Wir haben dieses Master-Slave-Prinzip durchbrochen und es durch ein Schwarmprinzip ersetzt.
Jetzt endlich die Frage: Welches Problem löst Power Blox?
Mit unserem Produkt kann man auf einfachste Weise in Orte, wo es keinen Strom gibt, Strom hinbringen. Es ist ein kombiniertes Solarbatterie-System, an welches ein Solarmodul angeschlossen wird, und welches mit einem Knopfdruck Haushaltsstrom 230 V liefert. Man kann mehrere Einheiten zusammenschließen und damit z.B. so eine Kaffeemaschine betreiben. In der Regel sind Investitionskosten bei Stromprojekten sehr hoch und die Flexibilität sehr gering. So wie man es berechnet hat, muss man es auch installieren. Bei unserem System fängt man einfach mal an: Man macht eine grobe Bedarfsberechnung und bringt die nötige Anzahl von Power Blox, die das leistet, dahin. Swisscom wollte z.B. 2018 ihre Telefonsysteme in 240 Alphütten digitalisieren. Die neuen Telefonsysteme brauchen Strom. Swisscom-Techniker sind nicht spezialisierte Solarunternehmer und wollen auch nicht jedes System, das installiert werden muss, aufs Neue berechnen. Wenn der Älpler mehr Leistung braucht, nimmt er einfach einen weiteren Power Blox. Es funktioniert wie ein Lego-System. Deshalb benutzt man unsere Geräte.
Alle klassischen Systeme sind auch nach dem Master-Slave-Prinzip aufgebaut. Der Master definiert das Netz und sagt, dass es jetzt 230 V und eine bestimmte Frequenz gibt. Alle zusätzlichen Geräte sind immer noch Slaves. Für Afrika ist das schon von der Begrifflichkeit her etwas problematisch. Es ist auch kompliziert: Konkurrenzsysteme haben bis zu 250 Parameter, die konfiguriert werden müssen. Wie soll das ein einfacher Techniker irgendwo mitten in Kenia schaffen? Bei Power Blox wird keine Konfiguration durchgeführt. Wir haben dieses Master-Slave-Prinzip durchbrochen und es durch ein Schwarmprinzip ersetzt. Das Schwarmprinzip, das wir aus der Natur kennen, ist genial und funktioniert nur mit drei Regeln. Ein Fisch schwimmt ungefähr in die gleiche Richtung wie die anderen, sonst kollidiert er mit den anderen. Er schaut auch, dass man nicht zu nah und nicht zu weit weg vom nächsten Fisch ist. Dieser Fisch versucht auch, immer in die Mitte des Schwarms zu kommen, weil er dort am sichersten ist. Wenn mehrere Fische zusammenkommen, kreieren sie Schwarmintelligenz. Wenn einer sieht, dass ein Hai von links kommt, löst dies eine Reaktion im Schwarm aus: Der Schwarm kann sich teilen und später wieder zusammen fliessen. Genau dieses Prinzip haben wir auf erneuerbare Energien adaptiert. Es gibt keinen Master mehr, der den Energieschwarm diktiert. Es gibt mehrere Schwarmelemente, die sich zusammen zu einem grossen Schwarm verbinden. Wenn wir dies auf ein Dorf beziehen, können wir mehrere Power Blox, die zueinander eine Verbindung aufbauen, aufstellen. So kann auch ein Grosssystem entstehen. Wenn durch dieses Dorf eine Strasse gebaut wird, können zwei separate Systeme daraus gemacht oder später wieder zusammengefügt werden. So ist man vollkommen flexibel und muss einfach diese Elemente verbinden, wenn man ein grösseres System bauen will.
Wir haben auch den Batterieladestand mit der Netzfrequenz 50 Hz so verbunden, dass eine Batterie mit einem tieferen Ladestand eine tiefere Frequenz erreichen will und somit weniger Energie abgibt. Irgendwann sind so alle Batterien auf dem gleichen Stand. Interessanterweise hat das vor uns noch niemand gemacht. Niemand hat das auf einen Schwarmalgorithmus umgemünzt. Es ist aber auch kompliziert: Wir mussten dafür 3 Jahre forschen, bis wir zu diesem Resultat gekommen sind.
Machen Sie Marketing?
Marketing machen wir viel zu wenig. Wir sind aktuell mit mehreren Projekten stark ausgelastet. Im Fall Swisscom haben wir auch voll versagt, weil Swisscom nicht erwähnt hat, dass wir das Projekt gewonnen haben und 240 Alphütten mit Power Blox ausgerüstet werden. Grosse PR haben wir nur am Anfang gemacht. In der Zukunft wollen wir einfach zeigen, was wir tun. Das gute Tun und die Sinnhaftigkeit kommen unserer Arbeit automatisch zugute. Wir schauen uns die Ziele für die nachhaltige Entwicklung an und bestimmen, was wir für jedes Ziel machen können, z.B. um Trinkwasser verfügbar zu machen, arbeiten wir mit einem Solarpumpenhersteller zusammen. Man kann auch die Wasseraufbereitung machen, wo wir heute mit der DEZA in Katastrophengebieten zusammenarbeiten. Für das Ziel Lebensmittelsicherheit könnte man mit Power Blox einen Brutkasten für eine kleine Farm betreiben, Früchte trocknen, Fisch kühlen usw. Das kann man z.B. auch mit Hilfe der Mikrofinanzierungsmethoden bewerkstelligen, wo wir auch Projektfinanzierer zusammenbringen.
Wer finanziert heute solche Projekte?
Solche Projekte werden heute meistens aus NGO- und EU-Geldern finanziert. In der Schweiz werden sie z.B. durch den Technologiefonds unterstützt. In Aargau ist es der Forschungsfonds Aargau.
Nun zu den Zielen: Was wollen Sie in einem Jahr erreicht haben?
Wir wollen in einem Jahr mehrere Projekte realisieren und zeigen, dass es auch in einem grösseren Kontext funktioniert. Im kleinen Kontext haben wir es bereits bewiesen. Wir haben aber noch keine Grossprojekte für einen Flüchtlingscamp oder ein Dorf realisiert.
Und die letzte Frage, die mich interessiert: Wenn Sie die Möglichkeit hätten, alles von Anfang an zu machen, was hätten Sie besser gemacht?
Ich würde das benötigte Investitionsvolumen vorsichtiger schätzen. Ich hätte auch bei unserer Rollenverteilung den CEO-Posten früher abgegeben, damit ich mich auf die Weiterentwicklung besser hätte konzentrieren können. Es ist wichtig, das eigene Bild zum richtigen Zeitpunkt richtig zu beurteilen und zu bestimmen, wer für welche Rolle eine richtige Person ist.