Tobias Meyer und Michael Uhmeier sind Unternehmer im Beruf geworden, den Sie eigentlich erlernt haben. Die beiden waren bis vor kurzem Primarlehrer und unterrichteten für die 1.-4. Klasse. Nun sind die beiden Gründer von Lernwolke – einem Jungunternehmen aus Thurgau, das Lernsoftware herstellt und an Primarschulen vertreibt. Was passiert, wenn man als Lehrer bessere Lerninhalte digital vermitteln und die Bildung an der Primarschule digitalisieren will? Der Redaktor von «the goal» fragte Tobias Meyer nach dem Firmenstart, Markttrends und seinen Lehren.
Hallo Herr Meyer. Herzlichen Glückwunsch zum Start Award 2018! Lassen Sie uns zunächst mit einer einfachen Frage beginnen. Welches Gefühl hatten zwei ehemalige Pädagogen, als sie für ihr unternehmerisches Risiko und ihren Starterfolg durch den Start Award Anerkennung fanden?
Das war natürlich ein grossartiges Gefühl. Es hat uns sehr gefreut, dass wir für unsere Risikobereitschaft diese Anerkennung erhalten haben. Durch diese Auszeichnung erhoffen wir uns mehr Bekanntheit, den Aufbau von eines wertvollen Netzwerks und schliesslich auch Kontakte zu möglichen Investoren.
OK. Und wie hat es mit Lernwolke angefangen?
Bereits in der Ausbildung zu Primarlehrern haben wir uns intensiv mit digitalen Lernerfahrungen für die Schule auseinandergesetzt. Den Schwerpunkt unserer Ausbildung haben wir aus diesem Grund auch auf die Medienpädagogik gelegt. Während unserer Tätigkeit in der Schule und bei Pilotprojekten zur Integration von Tablets im Unterricht haben wir schnell gemerkt, dass die bestehenden digitalen Angebote unseren Anspruch an einen modernen Unterricht, wo wir als Lehrpersonen den Überblick haben und unsere SchülerInnen gezielt fördern können, nicht erfüllen. So haben wir uns bereits zu diesem Zeitpunkt erste Konzepte überlegt, wie eine moderne Lernsoftware aussehen könnte. So wuchs unser Wunsch, unsere Konzepte und Visionen in die Tat umsetzen zu können. Schliesslich fällten wir den Entscheid, eine eigene Firma zu gründen und unseren Traum zu erfüllen. Seit Juni 2016 sind wir nun als Lernwolke GmbH unterwegs und vertreiben unsere Lernsoftware an die Schweizer Primarschulen.
Wie lange hat es gedauert, bis eine betreibbare Lösung verfügbar war?
Die reine Entwicklungszeit, bis eine betreibbare Lösung verfügbar war, dauerte rund 2,5 Jahre. Dazu kommen aber noch rund 2 Jahre, in denen Konzepte aufgebaut und die Weiterbildung in den Bereichen Design und Programmierung betrieben wurde. Die Lernwolke wurde nämlich selbständig von uns beiden umgesetzt. Ganz zu Beginn hatten wir eine rollende Planung, die wir immer wieder der aktuellen Situation angepasst haben.
Gab es einen Businessplan?
Einen klassischen Businessplan hatten wir damals noch nicht. Mittlerweile existiert natürlich ein Businessplan. Dieser stellt für uns zum einen den Fahrplan für die nächsten 3-5 Jahre dar, zum anderen unterstützt er uns auf der Suche nach möglichen Investoren.
Um ein bisschen mehr Verständnis über den Markt zu bekommen, wo Sie heute agieren, würde ich gerne wissen, wie Sie den heutigen Markt in der Schweiz einschätzen?
In der Deutschschweiz besuchen rund 480’000 SchülerInnen die Primar- und Sekundarstufe (Bundesamt für Statistik).
Welche Chancen/Risiken sehen Sie für Ihr Unternehmen in den nächsten 3 bis 5 Jahren auf dem Schweizer Markt?
Dieses Marktpotenzial stellt für uns in den nächsten Jahren eine grosse Chance dar. Zudem befindet sich der Bildungsmarkt mit dem Lehrplan 21 in einem grossen Umschwung. Dies ist für uns ebenfalls eine Chance, weil neue Lehrmittel und Lernmethoden, die einen modernen und individualisierten Unterricht ermöglichen, verlangt werden. Als Risiken sehen wir den schnellen Wandel im technischen Bereich (Geräte, Betriebssysteme). Dies führt dazu, dass das Angebot fortlaufend angepasst werden muss. Wenn sich neue Trends im Bildungsbereich durchsetzen, müssen diese zeitnah adaptiert werden. Auch die Konkurrenz wird ihre Produkte in den kommenden Jahren weiter ausbauen und stärker an die offiziellen Lehrmittel anpassen. Wir rechnen in den nächsten Jahren mit einem guten Wachstum. Ausserdem planen wir eine Expansion nach Deutschland und Österreich. Hier sprechen wir dann von einem Marktpotenzial von 8,3 Millionen (Statistisches Bundesamt Deutschland) bzw. 520’000 SchülerInnen (Statistik Austria). Nebst der Kundengruppe Schule möchten wir auch im Privatmarkt Fuss fassen, sprich unser Lernprogramm für die private Förderung durch Eltern anbieten.
Welche Markttrends sehen Sie heute in der Schweiz bzw. ausgewählten Ländern, die für Sie interessant wären?
Die Digitalisierung der Bildung in der Schweiz,
aber auch allen umliegenden Ländern,
ist der grosse Markttrend, den wir sehen.
Digitale Medien sollen Bestandteil des Unterrichts sein. Die SchülerInnen sollen Kompetenzen im Umgang mit diesen Medien aufbauen. Dazu schaffen die Schulen Geräte an, wissen aber vielfach nicht, wie sie diese einsetzen möchten. Dafür bieten wir Inhalte an. Vorerst für den Fachbereich Deutsch, das Angebot wird aber stetig ausgebaut. Auch die Lehrpersonen möchten zunehmend digital arbeiten und Lösungen nutzen, die sie im Unterrichtsmanagement unterstützen.
Mich interessiert auch Ihre Kundschaft. Was sind Ihre Hauptzielkunden aus der heutigen Sicht?
Aus der heutigen Sicht sind Schweizer Primarschulen mit Fokus auf Zyklus 2 (3.–6. Schuljahr) unsere Hauptzielkunden. Seit dem Sommer 2017 verkaufen wir unser aktuelles Lernprogramm an diese Kundengruppe.
Wie viele Kunden haben Sie schon?
Heute können wir über 40 Schulen in der ganzen Deutschschweiz zu unseren Kunden zählen. Über 2000 Schülerinnen und Schüler lernen auf der Lernwolke.
Die Zahlen sind vielversprechend. Auf welche Massnahmen setzen Sie denn bei der Kundengewinnung?
Bisher haben wir die Schulen direkt via Telefonakquise angesprochen. Daraus ergibt sich eine persönliche Kommunikation via E-Mail und Telefon, bei welchem grundsätzliche Fragen zum Produkt geklärt werden. Darauf folgt eine Vorstellung im Team vor Ort, eine Testphase oder eine direkte Lizenzierung des Produkts für ein Jahr. Weiter stellen wir unser Produkt auf Fachmessen und -Tagungen aus und bieten Workshops und Webinare vor Ort an. Über diese Kanäle sammeln wir Kontaktdaten zu potentiellen Kunden, die anschliessend erneut kontaktiert werden. In den letzten Monaten kam es vermehrt zur direkten Kontaktaufnahme durch Kunden via Kontaktformular auf unserer Webseite. In Zukunft verstärken wir unsere Präsenz in den sozialen Medien. Wir möchten den Schulen auf diesem Weg den für sie relevanten Inhalt zum Lernen und zur Individualisierung bieten und somit ihr Interesse an unseren Lösungen wecken.
Wenn ich mir jetzt Konkurrenzlösungen am Markt anschaue, was können Sie besser als andere?
Unser Angebot unterscheidet sich gegenüber den Konkurrenten durch einen starken Fokus auf die Individualisierung der Lerninhalte. Der Lernstand der SchülerInnen wird berücksichtigt. Die Lehrpersonen können Inhalte individuell anpassen und im Bereich des Wortschatztrainings sogar selbständig erweitern. Eine übersichtliche Auswertung zeigt jederzeit den Lernstand der SchülerInnen an. Die Benutzer der Lernwolke erhalten ein einheitliches Bedienkonzept, welches auf allen Plattformen identisch funktioniert. Mit einem einfachen Bildlogin und der Übungssuche kann man mit wenig Verlust an wertvoller Lernzeit auf Lerninhalte zugreifen. Unsere Umsetzung von Lerninhalten bezieht zudem Technologien wie eine speziell entwickelte Handschrifterkennung ein. In dieser Ausprägung existiert kein Konkurrenzprodukt.
Sie entwickeln eine Lernsoftware. Was haben Sie aber selbst in den letzten zwei Jahren Unternehmertum gelernt?
Kurz gesagt: praktisch jeden Tag etwas Neues. Aus unserem Hintergrund als Primarlehrer war für uns natürlich vieles Neuland. Uns treibt eine hohe innere Motivation an, unsere Idee und Vision vorwärts zu bringen. Erste Berührungspunkte mit dem Erstellen eines Lernprogramms haben sich bereits in der Ausbildung ergeben. Für unsere Maturaarbeit haben wir ein Lernspiel über Vögel programmiert und damit mehrere Preise gewonnen. Diese grundlegenden Erfahrungen haben uns natürlich bei der Konzeption der Lernwolke geholfen, wobei Vieles neu dazukam. Wir mussten uns zum Beispiel fünf neue Programmiersprachen aneignen. Da wir wussten, was unser Programm können sollte, haben wir uns direkt in die Umsetzung gestürzt, ohne zuvor Übungs-Tutorials zu absolvieren. Unsere erste Umsetzung war gleich die ganze Login-Struktur der Lernwolke mit ihrem speziellen Bildpasswort. Während der Umsetzung haben wir uns somit Programmieren und Design beigebracht und dieses Wissen stetig ausgebaut. Wir haben uns mitten in ein Abenteuer gestürzt, ohne ganz genau zu wissen, was uns erwartet. Schon nach kurzer Zeit haben wir aber entsprechende Strukturen aufgebaut und uns Wissen zu den Bereichen Geschäftsführung, Buchhaltung, Vertrieb und Marketing angeeignet. Auch im Bereich Konzeption und Entwicklung haben wir uns schnell strukturiert und einen professionellen Ablauf aufgebaut.
Gibt es jemand, deren/dessen unternehmerischen Rat Sie sehr schätzen. Was war das für ein Ratschlag?
Wir sind in stetigem Austausch mit verschiedenen Beratern. Prof. Dr. Thomas Lindauer, Leiter Institut Forschung und Entwicklung sowie Co-Leiter Zentrum Lesen, Medien, Schrift der Fachhochschule Nordwestschweiz, berät uns zu inhaltlichen und didaktischen Themen. Unser Coach vom Startnetzwerk Thurgau, Markus Widmer, begleitet uns sehr eng in unternehmerischen Fragen. Von beiden erhalten wir viele wertvolle Ratschläge, die für uns wichtig sind.
Ein Ratschlag, der von vielen Seiten her kam, blieb aber speziell in Erinnerung: «Bleibt solange eigenständig wie möglich und gebt nicht zu schnell Know-how nach aussen.»
Sie haben Einiges zum Aneignen von Wissen erzählt. Was lesen Sie, wenn Sie Zeit haben?
Wir lesen verschiedene Bildungszeitschriften, Technikblogs und Sachbücher zum Thema ICT im Unterricht und neuen Lernmethoden. Eines der letzten Bücher war «Mehr als 0 und 1 – Schule in einer digitalisierten Welt» von Beat Döbeli-Honegger.
Und noch eine Frage nach der Zukunft. Suchen Sie gerade jemanden für das Lernwolke-Team?
Im Moment sind wir auf der Suche nach einem oder mehreren Investoren, die die Lernwolke mit Kapital und Wissen für die Weiterentwicklung und den Eintritt in neue Märkte, wie Deutschland, Österreich und den Privatmarkt unterstützen. Dadurch wollen wir ein schnelleres Wachstum erzielen. Daraus ergibt sich natürlich mehr Personalaufwand in den Bereichen Entwicklung, Marketing und Vertrieb. Dafür suchen wir Persönlichkeiten, die unsere Vision – den Lernenden die beste Lernerfahrung durch eine innovative Lernumgebung zu ermöglichen – teilen.